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Der anonyme Bewerber: gescheitertes Projekt gegen Diskriminierung?

Seit einigen Jahren verbreitet sich ein Trend, ausgehend von den USA und skandinavischen Ländern, sich anonymisiert zu bewerben. Dies war ursprünglich als weiterer Meilenstein im Kampf gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt gedacht. Sobald das Foto, der Name, das Alter und das Geschlecht nicht mehr im Lebenslauf aufscheinen, können Personaler nicht mehr nach den ihnen landläufig unterstellten Kriterien selektieren. Während in den USA der Fokus auf der Hautfarbe liegt – Afroamerikaner und Hispanics werden vor allem bei hochqualifizierten Positionen oftmals nicht in die engere Auswahl genommen – richtet sich das Augenmerk in Europa vor allem auf die schlechtere Stellung von Einwanderern, vor allem aus asiatischen Ländern.

 

Das klingt zunächst gut, ist aber in der Praxis sehr umständlich und bringt zahlreiche Probleme mit sich. Da man in einem anonymisierten Lebenslauf tatsächlich nur die Qualifikation an sich erkennbar wird und zudem meist Vorlagen zur Dateneingabe verwendet werden, können sich Personalentscheider kein vollständiges Bild der Kandidaten mehr machen. Diese Entrümpelung der eigenen Bewerbungsunterlagen ist zum einen für die Bewerber sehr mühselig, da auch versteckte Hinweise wie z.B. „Ausbildung zur Bürokauffrau“ entdeckt und neutralisiert werden müssen. Zum anderen lässt sich dadurch weder eine individuelle Eigenvorstellung kreieren, zum anderen ist es nicht möglich, Zeugnisse und Zertifikate im ersten Schritt mitzusenden. Dies kann aber wichtig sein, wenn nämlich z.B. ein bestimmter Studienabschluss oder ein Sprachzertifikat zwingend für eine Stelle benötigt wird. Damit der Schuss nicht nach hinten losgeht, müssen also beide Seiten – Bewerber und Arbeitgeber – einen Balanceakt meistern.

 

Der Aufwand wird also in jedem Fall größer, denn nach der ersten Selektionsphase, der sogenannten A-B-C-Analyse müssen von den A-Kandidaten durch die Personalabteilung dann Zeugnisse und ggf. auch ein Foto nachgefordert werden. Dieser weitere Arbeitsschritt ist bei diesem anonymen Verfahren unvermeidlich. Eine Überraschung gibt es dann beim Vorstellungsgespräch nicht mehr.

 

Während in den USA strenge Antidiskriminierungsgesetze seit vielen Jahren die Angaben in den Bewerbungen auf einen Mindeststandard, wie oben beschrieben, heruntergeschraubt haben und auch in vielen nord- und westeuropäischen Ländern die anonymisierte Bewerbung gang und gäbe ist, liegen aus Deutschland derzeit nur Daten aus einem Pilotprojekt aus dem Jahr 2011 vor, der schon als wichtiger Baustein auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit gefeiert wurde. Doch die Arbeitgeber tun sich noch schwer damit – obwohl auch hierzulande seit Mitte August 2006 das AGG Diskriminierungen in vielen Fällen sanktioniert.

 

Im Jahr 2011 konnten neun Arbeitgeber für dieses Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewonnen werden. Ein Jahr lang wollten diese Unternehmen ausschließlich anonymisierte Bewerbungsverfahren anwenden, darunter neben bekannten Big-Playern wie Deutsche Telekom, Deutsche Post und Procter & Gamble auch Mydays und die Stadtverwaltung Celle. Über dieses Projekt wurde seinerzeit groß in deutschen Medien berichtet, doch die tatsächlichen Auswirkungen hielten sich bisher in Grenzen. Der Abschlussbericht des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) vom März 2012 zeigt zwar auf, dass die Reaktionen auf die Ergebnisse des Projekts durchaus positiv waren. Insbesondere die Chancen von Frauen und Migranten hätten sich erheblich verbessert. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle haben aber nur vier Unternehmen das anonymisierte Bewerbungsverfahren nach Ende des Projekts beibehalten.

 

Aber es gab auch andere Stimmen: Die Kritiker bemängelten die Auswahl der Unternehmen, den Konzerne haben zumeist bereits seit längerem Antidiskriminierungsmechanismen bei den in der Regel weitgehend automatisierten Bewerbungsverfahren. Dies gilt insbesondere bei von den USA dominierten Weltkonzernen. Eine Vergleichsgruppe z.B. aus dem deutschen Mittelstand gab es nicht und dem ganzen Abschlussbericht fehle es an konkreten Daten und Zahlen. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände bezeichnete die Studie daher als nicht repräsentativ – das hat allerdings noch nicht einmal das IZA behauptet.

 

Wird die Diskriminierung also nur auf einen späteren Zeitpunkt beim Auswahlprozess verlagert?

Die Antidiskriminierungsstelle ist davon überzeugt, dass sich das Verfahren langfristig in Deutschland durchsetzen wird. Dennoch sieht die Projektleiterin das Thema realistisch: die anonymisierte Bewerbung ist kein Allheilmittel gegen Diskriminierung. Sie ist vielmehr ein Baustein des sogenannten Diversitymanagements. Und dafür kann sie gezielt eingesetzt werden: Wenn ein Arbeitgeber zum Beispiel bei gleicher Qualifikation von Bewerbern ausdrücklich eine Frau einstellen wolle, sei das auch im anonymen Verfahren möglich. Es könne über extra Felder im Bewerbungsformular geregelt werden, dass weibliche Bewerber bevorzugt werden. Das Ausfüllen geschieht dann freiwillig.

Allerdings stellt sich die Frage, ob sich durch das anonymisierte Verfahren die Diskriminierung nicht einfach in einen späteren Abschnitt des Bewerbungsverfahrens verlagert. Eine Frau, der wegen ihres Alters ein baldiger Kinderwunsch unterstellt wird, kommt dadurch zwar bis ins Bewerbungsgespräch – aber womöglich nicht darüber hinaus. Absageschreiben enthalten in Deutschland seit Mitte 2006 meist ohne spezifische Begründung, da sich die Arbeitgeber keinen Klagen auf Grund von sogenannten Scheinbewerbungen aussetzen wollen.

 

Immerhin scheint diese Art des Verfahrens bei den Bewerbern gut anzukommen: Rund 40 Prozent bevorzugen die anonymisierte Bewerbung, während gut ein Viertel der Bewerber glaubt, dass sie mit einer aussagekräftigen Bewerbung bessere Chancen haben.

 

Die Antidiskriminierungsstelle will das anonymisierte Bewerbungsverfahren auf jeden Fall weiterverfolgen. Sie unterstützt die Länder bei den einzelnen Projekten, die mittlerweile bundesweit durchgeführt werden. Zu nennen wäre ein Projekt in Baden-Württemberg, welches sich auf kleine und mittelständische Unternehmen konzentriert und eher den wirtschaftlichen Aspekt der anonymisierten Bewerbung ins Auge fasst. Das System sei viel effizienter als klassische Bewerbungsverfahren. Durch die anonymisierte Bewerbung sei eine viel zielgenauere Personalauswahl möglich. Grundsätzlich sei die Umstellung auf Online-Bewerbungsverfahren, die gerade überall Einzug hielten, eine gute Chance, gleichzeitig auch auf anonymisierte Bewerbungen umzusteigen.

 

Allerdings nutzt auch das beim Pilotprojekt 2011 teilnehmende Unternehmen Mydays das Verfahren nicht für jede Neubesetzung. Positionen, die ganz spezifische Anforderungen haben, sind explizit ausgenommen. In diesen Fällen ist es nachvollziehbarerweise ohnehin schon schwierig, die Position überhaupt zu besetzen Mit einer weiteren Hürde würde das Bewerberfeld womöglich noch kleiner ausfallen und eine langwierige Vakanz droht! Auch bei Berufsanfängern bringe das standardisierte Verfahren nichts, weil diese in der Regel außer einem akademischen oder beruflichen Abschluss, verbunden mit Praktika noch nichts weiter vorzuweisen haben, was sie von anderen Kandidaten signifikant unterscheiden könnte.

 

Weiterhin steht dem Sachargument der Effizienzsteigerung, weil die Informationen über einen Bewerber sehr komprimiert erhält, die zahlreichen Gegenargumente, wie wir sie in diesem Artikel aufgezeigt haben, gegenüber. Eine gesetzliche Regelung ist zumindest in Deutschland oder EU-weit nicht in Sicht. Man wird das Thema aber weiterhin von allen Seiten beobachten. Insbesondere im Hinblick auf den in den kommenden Jahren drohenden Fachkräftemangel, der vor allem mitteleuropäische Staaten wie Deutschland sehr hart treffen könnte.

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Herr Daniel Stock d.stock(@)top-jobs-europe.de